Wenn Sie Ihr Haus sanieren, denken Sie wahrscheinlich zuerst an neue Fenster, eine bessere Dämmung oder eine moderne Heizung. Doch was passiert mit den Materialien, die Sie dafür einbauen? Die meisten Menschen wissen nicht, dass die Herstellung von Baustoffen - also ihre graue Emission - heute oft mehr Klimaschaden anrichtet als der Energieverbrauch des Gebäudes selbst. In Sanierungsprojekten steigt dieser Anteil kontinuierlich. Wer heute wirklich klimafreundlich baut, muss nicht nur den Energieverbrauch senken, sondern auch die Emissionen aus den Materialien selbst reduzieren.
Was sind graue Emissionen - und warum sind sie jetzt so wichtig?
Graue Emissionen sind die Treibhausgase, die entstehen, bevor ein Gebäude überhaupt bezogen wird. Das heißt: beim Abbau von Rohstoffen, bei der Herstellung von Zement, Stahl oder Dämmplatten, beim Transport auf die Baustelle und sogar beim Abriss alter Teile. Im Jahr 2020 verursachten Baustoffe in Deutschland allein 45 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Das ist mehr als der gesamte Verkehr in Österreich. Und das ist nur der Anfang.
Früher galt: Je besser die Dämmung, desto besser fürs Klima. Das stimmt noch - aber nur, wenn man die Herstellung der Dämmung ignoriert. Eine Polystyrol-Dämmung mag gut isolieren, aber ihre Herstellung ist energieintensiv. Holz dagegen speichert Kohlenstoff. Und recycelter Beton braucht keinen neuen Zement. Bei Sanierungen liegt der Anteil der grauen Emissionen heute zwischen 10 und 25 Prozent der gesamten Klimabelastung über den Lebenszyklus. In einigen Fällen, besonders bei energetisch gut gedämmten Gebäuden, ist dieser Anteil sogar höher als der Verbrauch an Heizenergie.
Warum Sanierung mehr als Neubau ist - und warum das die Materialwahl verändert
Seit 2023 hat die Bundesregierung klargestellt: Sanieren statt neu bauen. Jährlich stehen 13 Milliarden Euro für Sanierungen bereit - nur eine Milliarde für Neubauten. Warum? Weil das Bauen von neuen Häusern immer noch enorme Mengen an Zement, Stahl und Kunststoffe verbraucht. Die Herstellung von einem Tonne Zement erzeugt etwa 800 Kilogramm CO₂. Und in einem durchschnittlichen Einfamilienhaus stecken bis zu 100 Tonnen Zement allein im Fundament und den Wänden.
Bei einer Sanierung sparen Sie diese Emissionen, weil Sie das bestehende Gebäude nutzen. Aber: Wenn Sie dabei alte Ziegel durch neue Kunststoffdämmplatten ersetzen, dann haben Sie nur den Energieverbrauch gesenkt - nicht die Gesamtbelastung. Die richtige Sanierung kombiniert Energieeffizienz mit klimaschonenden Materialien. Das ist der neue Standard. Und er ist nicht mehr freiwillig: Ab 2025 soll es eine gesetzliche Obergrenze für graue Emissionen pro Quadratmeter geben. Wer Fördergelder will, muss sie schon heute nachweisen.
Welche Baustoffe haben die niedrigsten Emissionen?
Nicht alle Materialien sind gleich. Einige sind wahre Klimasünder, andere Speicher für Kohlenstoff. Hier ist, was wirklich zählt:
- Holz: Ein Kubikmeter Holz speichert etwa eine Tonne CO₂. Holzrahmenbau, Holzmassivplatten oder Holzfaserdämmung reduzieren die grauen Emissionen um bis zu 40 Prozent im Vergleich zu konventionellen Materialien. In Freiburg wurden damit Sanierungsprojekte mit 30-40 Prozent weniger Emissionen realisiert.
- Natürliche Dämmstoffe: Hanf, Flachs, Schafwolle und Zellulose haben niedrige Emissionen und sind oft aus heimischen Quellen. Sie verursachen durchschnittlich 28 Prozent weniger CO₂ als Mineralwolle oder Polystyrol - und sind zudem atmungsaktiv.
- Recycelter Beton: Wenn alte Betonwände abgerissen werden, kann der Schutt aufbereitet und als Ersatz für neuen Beton verwendet werden. Das spart bis zu 70 Prozent der Emissionen im Vergleich zu frischem Beton.
- Kalkputz und Lehm: Diese traditionellen Materialien sind nicht nur umweltfreundlich, sondern auch gesund. Ihre Herstellung erzeugt kaum CO₂, und sie regulieren die Luftfeuchtigkeit im Haus.
- Zementfreier Mörtel: Neue Bindemittel auf Basis von Flugasche oder Puzzolana ersetzen Zement und senken die Emissionen um bis zu 50 Prozent.
Was Sie vermeiden sollten: Polystyrol (EPS/XPS), Polyurethan-Dämmung, Aluminiumfenster mit thermischer Trennung (hoher Energieaufwand bei Herstellung) und neu produzierte Ziegel mit hohem Brennenergiebedarf.
Die drei größten Fehler bei der Materialauswahl - und wie Sie sie vermeiden
Es gibt drei Stellen, an denen Sanierungsprojekte oft scheitern - und dabei unnötig viel CO₂ erzeugen:
- Nur auf den U-Wert schauen: Viele Planer wählen Dämmstoffe nur nach ihrem Wärmedämmwert. Aber ein guter U-Wert sagt nichts über die Herstellungskosten. Eine Dämmung mit geringem U-Wert, die aus Erdöl hergestellt wird, kann mehr CO₂ verursachen als die Energieeinsparung wert ist.
- Keine Lebenszyklusanalyse machen: Einige Hersteller geben keine Emissionsdaten an. Ohne einen EPD (Umweltproduktdeklaration) wissen Sie nicht, was wirklich drinsteckt. Fragen Sie danach - oder wählen Sie Produkte mit DGNB-Zertifizierung.
- Regionale Materialien ignorieren: Ein Holzdämmplatten aus Skandinavien hat einen höheren Transport-CO₂ als ein Holzbaustoff aus der Steiermark. In der Sanierung zählt nicht nur das Material, sondern auch seine Herkunft. Lokale Materialien reduzieren den Transportaufwand - und stärken die regionale Wirtschaft.
Die Lösung? Nutzen Sie die Planungstools des UmBauwende-Projekts. Sie helfen Ihnen, Materialkombinationen zu vergleichen - mit echten Emissionswerten. Wer frühzeitig nachhaltig plant, spart bis zu 18 Prozent an Emissionen. Wer erst nach Baubeginn nachrüstet, schafft nur noch 6 Prozent.
Wie viel kostet es - und lohnt sich das?
Ja, nachhaltige Baustoffe kosten mehr. Im Durchschnitt 15 bis 20 Prozent. Aber das ist nur die Anfangsrechnung. Wer sich für Holzfaserdämmung entscheidet, spart nicht nur CO₂, sondern auch auf lange Sicht: Holz atmet, verhindert Schimmel, reduziert Lüftungsbedarf - und das senkt die Heizkosten. Einige Sanierungsprojekte in Bayern haben gezeigt, dass die zusätzlichen Kosten durch geringere Wartung und höhere Wohnqualität innerhalb von 8-12 Jahren ausgeglichen werden.
Und dann gibt es noch die Förderung. Seit April 2022 verlangt die KfW für das Programm 430 (Energieeffizient Sanieren) nicht nur einen Energieeffizienzstandard von EH-40, sondern auch eine Nachhaltigkeits-Klasse. Das bedeutet: Sie bekommen mehr Geld, wenn Sie Materialien mit niedrigen grauen Emissionen wählen. Wer das nicht macht, verliert bis zu 30 Prozent der Förderung. In manchen Fällen ist der Zuschuss so hoch, dass der Aufpreis für nachhaltige Materialien komplett abgedeckt wird.
Was kommt als Nächstes - und wie bereiten Sie sich vor?
Die Entwicklung beschleunigt sich. Ab Januar 2024 müssen Sanierungsprojekte mit Förderung über 500.000 Euro eine digitale Nachweisführung vorlegen - also einen digitalen Lebenszyklus-Report. Bis 2027 soll das für alle geförderten Projekte Pflicht sein. Die Daten müssen auf standardisierten Produktpässen basieren, die Hersteller liefern müssen. Wer heute nicht weiß, wie viel CO₂ sein Dämmstoff erzeugt, wird bald keine Förderung mehr bekommen.
Die Forschung läuft auf Hochtouren: Das BMWK fördert 2023 mit 85 Millionen Euro die Entwicklung von CO₂-armen Baustoffen - besonders für Sanierungen. Neue Materialien wie Bio-Beton, Holz-Kunststoff-Verbunde und recycelte Dämmplatten aus Altkleidung sind schon in Pilotprojekten im Einsatz.
Was Sie jetzt tun können: Suchen Sie sich einen DGNB-geprüften Nachhaltigkeitsberater. Die Lernkurve für Planer liegt bei drei bis vier Monaten - das heißt, viele Architekten sind noch nicht fit in der Bewertung von Baustoffemissionen. Ein guter Berater kann Ihnen zeigen, wo Sie am meisten CO₂ einsparen können - ohne das Budget zu sprengen.
Praxisbeispiel: Ein Altbau in Graz, sanierter Teil
Ein 1950er-Jahre-Einfamilienhaus in Graz wurde 2023 saniert. Statt neuer Polystyrol-Dämmung wurde eine 20 cm dicke Holzfaserdämmung eingesetzt. Die Außenwände wurden mit Lehmputz verkleidet. Die Fenster kamen aus einer regionalen Holzwerkstatt mit Holz-Alu-Verbundprofilen. Der Bodenbelag bestand aus recyceltem Kork. Die grauen Emissionen sanken um 37 Prozent gegenüber einer konventionellen Sanierung. Die Heizkosten fielen um 60 Prozent. Die Förderung deckte 85 Prozent der Mehrkosten. Die Bewohner:innen berichten: Kein Schimmel, angenehme Luftfeuchtigkeit, keine Zugluft. Und: Sie fühlen sich, als würden sie wirklich etwas für die Zukunft tun.
Das ist kein Traum. Das ist heute möglich. Und es wird bald Standard sein.
Was ist der Unterschied zwischen grauen und blauen Emissionen?
Graue Emissionen entstehen während der Herstellung, dem Transport und der Entsorgung von Baustoffen - also bevor das Gebäude genutzt wird. Blaue Emissionen sind ein falscher Begriff. Richtig ist: Betriebs-Emissionen (auch „blaue Emissionen“ genannt) entstehen durch Heizung, Strom und Kühlung während der Nutzung des Gebäudes. Heute ist der Anteil der grauen Emissionen in Sanierungen oft so hoch wie der der Betriebs-Emissionen - besonders bei gut gedämmten Gebäuden.
Gibt es einen Nachweis, der zeigt, wie klimafreundlich ein Baustoff ist?
Ja. Der wichtigste Nachweis ist die Umweltproduktdeklaration (EPD). Sie ist ein standardisiertes Dokument, das die gesamten Treibhausgasemissionen eines Baustoffs über seinen Lebenszyklus angibt - von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung. EPDs werden nach der europäischen Norm EN 15804 erstellt und sind von unabhängigen Prüfinstituten zertifiziert. Achten Sie darauf, dass der Hersteller eine aktuelle EPD vorlegt. DGNB-zertifizierte Produkte enthalten diese Daten automatisch.
Kann ich auch mit einem kleinen Budget nachhaltig sanieren?
Ja. Sie müssen nicht alles auf einmal ersetzen. Beginnen Sie mit den größten Emissionsquellen: Dämmung, Fenster und tragende Konstruktion. Diese drei Komponenten machen bis zu 70 Prozent der grauen Emissionen aus. Tauschen Sie zuerst die Dämmung aus - und zwar gegen Holzfaser, Hanf oder Zellulose. Dann die Fenster. Ein guter Fenstertausch spart mehr CO₂ als eine neue Heizung. Nutzen Sie auch alte Materialien: Ziegel, Holzbalken oder Bodenplatten können oft gereinigt und wiederverwendet werden. Das ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch günstiger.
Warum ist Zement so schlimm für das Klima?
Zement ist der Bindemittelgrundstoff für Beton. Seine Herstellung erfordert hohe Temperaturen - bis zu 1.450 Grad Celsius - und verbraucht viel Kohle oder Gas. Außerdem entsteht bei der chemischen Reaktion (Kalkstein wird zu Kalkoxid) CO₂ - das ist kein Nebenprodukt, sondern Teil des Prozesses. Ein Tonne Zement erzeugt etwa 800 Kilogramm CO₂. Der Zementsektor verursacht 2 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen - mehr als der gesamte Flugverkehr. Alternativen wie Puzzolana, Flugasche oder kalkbasierte Bindemittel reduzieren diese Emissionen um bis zu 50 Prozent.
Wie finde ich einen Planer, der sich mit nachhaltigen Baustoffen auskennt?
Suchen Sie nach DGNB-geprüften Nachhaltigkeitsberatern oder Architekten mit Zertifikat „Nachhaltiges Bauen“. Diese Fachleute sind speziell geschult, Lebenszyklusanalysen zu erstellen und Materialien nach Emissionswerten zu bewerten. Die DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) führt eine öffentliche Liste mit zertifizierten Beratern. Auch das UmBauwende-Projekt bietet Schulungen für Planer an - fragen Sie bei Ihrer regionalen Energieagentur nach.