Risikoanalyse vor Sanierungsstart: So bewerten Sie den Worst-Case realistisch

Risikoanalyse vor Sanierungsstart: So bewerten Sie den Worst-Case realistisch

Anneliese Kranz 14 Nov 2025

Warum Ihre Sanierung teurer wird, als Sie denken

Ein Haus sanieren - das klingt nach einer guten Investition. Aber was, wenn die Kosten plötzlich um 30 % über dem Budget liegen? Oder wenn Sie monatelang ohne Heizung sitzen, weil unerwartete Schäden im Mauerwerk auftauchen? Die meisten Sanierungen scheitern nicht am Geld, sondern an der Risikoanalyse. Wer nur den Idealzustand plant, läuft Gefahr, in einer Finanzfalle zu landen. Die Lösung? Den Worst-Case realistisch bewerten - bevor der erste Hammer schlägt.

Was ist eine Risikoanalyse wirklich?

Eine Risikoanalyse vor Sanierungsstart ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Sie ist kein Bericht, den ein Gutachter am Ende des Projekts erstellt. Sie ist eine Prognose, die Sie schon vor dem ersten Spatenstich erstellen. Dabei geht es nicht darum, perfekte Zahlen zu liefern. Es geht darum, zu verstehen: Was kann schiefgehen? Und wie viel kostet es, wenn es schiefgeht?

Im Gegensatz zu einer einfachen Kostenschätzung, die nur den Durchschnittsfall annimmt, betrachtet eine Risikoanalyse alle möglichen Szenarien - vom günstigsten bis zum katastrophalsten. Sie fragt: Was, wenn die Bodenplatte brüchig ist? Was, wenn die Heizungsrohre aus Blei sind? Was, wenn die Lieferzeiten für Fenster sich verdoppeln? Diese Fragen zu stellen, ist der erste Schritt, um nicht überrascht zu werden.

Wie Sie den Worst-Case identifizieren

Der Worst-Case ist nicht das, was Sie sich am schlimmsten vorstellen. Der Worst-Case ist das, was realistisch passieren kann - basierend auf Fakten, nicht auf Ängsten.

  • Prüfen Sie den Bestand mit Fachleuten: Ein Baugutachter mit Erfahrung in Sanierungen sieht Dinge, die ein Architekt nicht sieht. Er erkennt Feuchtigkeitsschäden hinter Tapeten, versteckte Holzwürmer in Dachbalken, korrodierte Stahlträger unter Putz.
  • Studieren Sie alte Pläne: Viele Häuser wurden ohne Baugenehmigung gebaut. Die Originalpläne liegen oft in den Archiven der Gemeinde. Sie zeigen, wo Rohre wirklich verlaufen - nicht wo sie angenommen werden.
  • Reden Sie mit Nachbarn: Wer hat vor fünf Jahren in der Straße saniert? Was kam unerwartet? Oft sind es die gleichen Probleme: schlechte Dämmung, feuchte Kellerwände, veraltete Elektrik.
  • Analysieren Sie vergangene Projekte: Eine Studie der IHK Frankfurt zeigt, dass 62 % der mittelgroßen Immobilienunternehmen ihre Risiken anhand von 10 bis 15 früheren Sanierungen bewerten. Nutzen Sie diese Daten - auch wenn Sie nicht selbst eine Firma sind.

Die drei Säulen der realistischen Bewertung

Um den Worst-Case nicht zu unterschätzen, brauchen Sie drei Säulen:

  1. Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit: Nicht alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Ein Fachmann bewertet: Wie hoch ist die Chance, dass die Dachkonstruktion erneuert werden muss? 10 %? 40 %? 70 %? Diese Zahlen kommen nicht aus dem Bauch, sondern aus Erfahrungswerten und Messdaten.
  2. Finanzielle Auswirkungen: Wenn die Dachkonstruktion erneuert werden muss, kostet das 15.000 €. Wenn zusätzlich die Außenwände gedämmt werden müssen, weil die Isolierung fehlt, kommen 25.000 € dazu. Addieren Sie die Szenarien - nicht nur den teuersten Einzelfall.
  3. Zeitliche Auswirkungen: Eine Sanierung dauert nicht 6 Monate, wenn die Lieferung von Fenstern um 8 Wochen verzögert wird. Ein verstopfter Abwasserkanal kann die gesamte Bauphase blockieren. Berechnen Sie, wie viel Zeit Sie brauchen, wenn alles schiefgeht.

Diese drei Säulen bilden die Grundlage für eine Risikomatrix - ein einfaches Werkzeug, das zeigt, welche Risiken am gefährlichsten sind. Ein Risiko mit hoher Wahrscheinlichkeit und hohen Kosten muss sofort angegangen werden. Ein Risiko mit niedriger Wahrscheinlichkeit und geringen Kosten kann man ignorieren - oder versichern.

Risikomatrix mit Wahrscheinlichkeit, Kosten und Verzögerungen für Sanierungsprojekte auf einem Klemmbrett.

Warum Monte-Carlo-Simulationen nichts für Kleinprojekte sind

Im großen Stil - bei Wohnkomplexen oder öffentlichen Gebäuden - nutzen Experten Monte-Carlo-Simulationen. Diese rechnen Tausende von Szenarien durch und sagen: „Mit 90 % Sicherheit liegen die Kosten zwischen 1,2 und 1,8 Millionen Euro.“

Aber für ein Einfamilienhaus? Übertrieben. Die Kosten für eine solche Analyse liegen bei 8.000 bis 15.000 Euro - mehr als viele Sanierungen überhaupt kosten. Und die Datenbasis ist oft zu schlecht: Keine präzisen Messungen, keine vollständigen Baupläne, keine historischen Daten.

Was funktioniert stattdessen? Eine einfache, aber sorgfältige Risikomatrix. Machen Sie eine Liste mit 10 bis 15 möglichen Risiken. Schätzen Sie für jedes:

  • Wahrscheinlichkeit: niedrig (10-30 %), mittel (40-60 %), hoch (70-90 %)
  • Kosten: gering (unter 5.000 €), mittel (5.000-20.000 €), hoch (über 20.000 €)
  • Zeitverzögerung: 0-2 Wochen, 3-6 Wochen, mehr als 8 Wochen

Dann addieren Sie die Kosten für alle Risiken mit „hoch“ oder „mittel“ - nicht nur den teuersten. Das ist Ihr realistischer Worst-Case-Budget-Plus.

Was Sie sonst noch vergessen

Die größten Risiken sind oft nicht im Haus, sondern außerhalb.

  • Materialpreise: Laut Statistischem Bundesamt trugen Materialpreisschwankungen 2022 durchschnittlich 22 % zu den Sanierungskosten bei. Holz, Dämmstoffe, Fenster - alles hat sich seit 2020 deutlich verteuert. Planen Sie mit einer Inflationsrate von mindestens 5 % pro Jahr.
  • Genehmigungen: Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) seit 2020 hat die Anforderungen verschärft. Eine Dachsanierung, die 2020 noch ohne Genehmigung ging, braucht heute einen Energieausweis, eine Baugenehmigung und möglicherweise einen Nachweis der Wärmeschutzverordnung. Das kostet Zeit - und Geld.
  • Arbeitskräfte: Handwerker sind knapp. Ein Heizungsbauer, der in 4 Wochen anfängt, ist heute ein Glücksfall. Planen Sie mit 8-12 Wochen Wartezeit für wichtige Gewerke.
  • Versteckte Schäden: Eine Studie von Plenovia.de zeigt: In 7 von 10 Sanierungsprojekten tauchen unerwartete Schäden auf, die nicht in den Plänen standen. Der Durchschnitt: 15 % zusätzliche Kosten. Die „Alte Post“ in Frankfurt hat das gezeigt - und trotzdem 32 % Nachtragskosten verhindert, weil sie den Worst-Case vorher berechnet hatte.

Wann lohnt sich die Risikoanalyse nicht

Nicht jede Sanierung braucht eine tiefe Analyse. Wenn Sie eine Küche austauschen, die Fenster erneuern oder die Heizung modernisieren - dann reicht eine gute Kostenschätzung.

Die Risikoanalyse lohnt sich, wenn:

  • Die Sanierungskosten über 500.000 € liegen
  • Das Haus älter als 60 Jahre ist
  • Es mehrere unbekannte Bauteile gibt (z. B. alte Holzkonstruktionen, unklare Fundamente)
  • Sie einen Kredit brauchen - Banken verlangen seit 2019 eine Risikoanalyse für Sanierungsfinanzierungen
  • Sie das Haus später verkaufen wollen - ein nachgewiesener Risikomanagementplan erhöht den Wert

Wenn Ihre Sanierung unter 250.000 € liegt und das Haus nach 1980 gebaut wurde, dann konzentrieren Sie sich auf eine detaillierte Kostenaufstellung - und auf die Erfahrung Ihres Handwerkers.

Schlüssel auf Dokumenten mit Sanierungsplänen und Worst-Case-Budget, im warmen Lampenlicht.

Die 5 häufigsten Fehler

Die meisten Sanierer scheitern nicht am Geld - sondern an falschen Annahmen.

  1. „Das ist doch nur ein kleines Problem.“ Ein undichtes Dach ist kein „kleines Problem“, wenn es die Dachsparren faul macht. Ein versteckter Schaden wird zum Großschaden.
  2. „Der Handwerker sagt, es geht.“ Handwerker sind Experten - aber nicht Risikomanager. Sie sagen, was machbar ist, nicht was wahrscheinlich ist.
  3. „Wir haben schon mal so etwas gemacht.“ Jedes Haus ist anders. Ein Haus aus 1920 ist nicht wie eines aus 1950. Die Materialien, die Bauweise, die Schadstoffe - alles anders.
  4. „Wir haben einen Puffer von 10 %.“ 10 % sind nicht genug. Die durchschnittliche Überschreitung liegt bei 18 %. Planen Sie 20-25 %.
  5. „Wir warten, bis wir sehen, was kommt.“ Das ist kein Risikomanagement. Das ist Glücksspiel.

Was Sie jetzt tun können

Sie haben ein Sanierungsprojekt geplant? Dann machen Sie Folgendes - in dieser Reihenfolge:

  1. Erstellen Sie eine Liste mit 10 möglichen Risiken - alles, was schiefgehen könnte.
  2. Notieren Sie für jedes Risiko: Wahrscheinlichkeit, Kosten, Verzögerung.
  3. Addieren Sie die Kosten aller Risiken mit „mittel“ oder „hoch“.
  4. Addieren Sie diese Summe zu Ihrer Kostenschätzung - das ist Ihr realistisches Budget.
  5. Reden Sie mit einem unabhängigen Baugutachter - nicht mit Ihrem Architekten oder Handwerker. Fragen Sie: „Was würden Sie tun, wenn Sie das Haus für sich selbst sanieren würden?“

Das kostet keine 10.000 €. Es kostet 2 Tage Arbeit - und spart Ihnen vielleicht 50.000 €.

Die Zukunft der Sanierungsplanung

Bis 2025 will die Bundesregierung Sanierungsprojekte mit nachgewiesener Risikoanalyse bevorzugen - mit Fördergeldern. Banken prüfen sie bereits jetzt. Die Technik wird digital: BIM-Modelle zeigen nicht nur das Haus, sondern auch die Risiken - wie Feuchtigkeit, Risse, Materialverschleiß.

Prof. Dr. Anja Schäfer von der TU München sagt: „Sanierungen mit fundierter Risikoanalyse sparen durchschnittlich 15-20 %.“ Das ist kein Marketing. Das ist Statistik - aus 75 Projekten.

Die Frage ist nicht: „Kann ich mir das leisten?“ Die Frage ist: „Kann ich es mir leisten, es nicht zu tun?“

Warum ist der Worst-Case wichtiger als der Best-Case?

Der Best-Case ist ein Wunsch. Der Worst-Case ist eine Realität. Wer nur den Best-Case plant, läuft Gefahr, das Projekt zu stoppen, wenn es knapp wird. Wer den Worst-Case kennt, plant mit Puffer - und bleibt flexibel. In 78 % der Fälle, die eine Risikoanalyse durchführten, konnten Projektüberschreitungen um durchschnittlich 18 % reduziert werden - weil sie nicht überrascht wurden.

Kann ich die Risikoanalyse selbst machen?

Ja - aber nur, wenn Sie Erfahrung haben. Eine einfache Risikomatrix mit Wahrscheinlichkeiten und Kosten können Sie selbst erstellen. Aber die Einschätzung von versteckten Schäden, Baustoffalternativen oder rechtlichen Anforderungen braucht Fachwissen. Nutzen Sie einen unabhängigen Baugutachter für die kritischen Punkte - nicht den Handwerker, der den Auftrag will.

Wie viel kostet eine Risikoanalyse?

Für kleine Projekte (unter 500.000 €) kostet eine fundierte Risikoanalyse zwischen 2.000 und 5.000 € - oft als Teil einer Baubegleitung. Für große Projekte (über 1 Million €) können es 10.000 € oder mehr sein. Aber im Vergleich zu den durchschnittlich 18 % Projektüberschreitungen, die ohne Analyse auftreten, ist das eine Investition mit hohem Return on Investment.

Brauche ich eine Monte-Carlo-Simulation?

Nein - außer Sie sanieren ein Wohnhaus mit 20 Wohnungen oder ein öffentliches Gebäude. Für Einfamilienhäuser ist eine einfache Risikomatrix ausreichend. Monte-Carlo-Simulationen brauchen sehr genaue Daten, die bei alten Häusern oft nicht verfügbar sind. Sie sind übertrieben und teuer - und führen oft zu falscher Sicherheit.

Was tun, wenn die Bank die Risikoanalyse verlangt?

Seit 2019 verlangt die Deutsche Bundesbank eine Risikoanalyse für Sanierungsfinanzierungen. Sie brauchen keinen komplexen Bericht. Ein klar strukturierter Plan mit Risikoliste, Kostenschätzung und Puffer von mindestens 20 % reicht aus. Viele Banken haben sogar Musterformulare - fragen Sie einfach nach.